Statistische Charakterisierung von Halbleiter-Qubits bei 2 Kelvin

Freiburg (26.01.2022) –

Ab 2022 wollen Forschende des Fraunhofer IAF erstmals in Europa statistische Daten zur Varianz von Qubits vorlegen, die mit unterschiedlichen Halbleitertechnologien erzeugt werden. Mit Unterstützung des BMBF schafft das Institut hierzu einen neuartigen On-Wafer-Prober an, der mehr als 200 Bauelemente gleichzeitig bei Qubit-Betriebstemperaturen von unter 2 K charakterisieren kann. Die zu gewinnenden Daten sind essenziell für den Aufbau einer europäischen Wertschöpfungskette industriell fertigbarer Quantencomputer auf Festkörperbasis.

Das Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik IAF vertieft sein Know-how in den Bereichen Quantencomputing und kryogene Messtechnik: Im Zuge des Projekts »KryoproPlus« schafft es einen automatischen Wafer-Prober an, mit dem Forschende Quantenbits (Qubits) bei Tieftemperaturen von unter 2 K in großem Umfang statistisch vermessen können. Die neue Datenbasis soll verlässliche Aussagen über die Skalierbarkeit von Quantenprozessoren ermöglichen. Innerhalb seines Rahmenprogramms »Quantentechnologien – von den Grundlagen zum Markt« fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Anschaffung der neuartigen Anlage wie auch den Kompetenzaufbau mit ihr über eine Laufzeit von zwei Jahren.

»Unser Ziel ist es, die industrielle Produktion von Quantenprozessoren nachhaltig zu unterstützen. Dafür stellen wir ein Messsystem bereit, mit dem wir viele Qubits gleichzeitig bei sehr tiefen Temperaturen vermessen können«, resümiert der Projektleiter von »KryoproPlus«, Prof. Dr. Rüdiger Quay. Er ist zuversichtlich, aufgrund der Expertise des Instituts im Bereich der Kryotechnik sowie der Vernetzung des Fraunhofer IAF einen effizienten Transfer der Erkenntnisse in die wirtschaftliche Anwendung und weitere wissenschaftliche Erforschung zu erreichen.

Gewinnung statistischer Daten zur Verbesserung und Skalierung von Qubits

Eine Grundvoraussetzung für Quantencomputing ist die Verschränkung und gezielte Kontrolle von Qubits. Schon kleinste Ungleichheiten in der Hardware beeinträchtigen dabei eine Verschränkung. Zudem müssen Halbleiter-Qubits, will man sie messen oder für Rechenoperationen manipulieren, isoliert und auf Temperaturen nahe des absoluten Nullpunkts (-273,15 °C) heruntergekühlt werden. Nur unter diesen kryogenen Temperaturen verhalten sich Qubits auf Halbleiterbasis so stabil, dass eine Verschränkung überhaupt möglich ist.

Um perspektivisch Ungleichheiten bei der Fertigung zu minimieren und letztlich auszuschließen, müssen Qubits zunächst umfangreich und neuartig getestet werden. Nur auf der Grundlage einer statistisch relevanten Datenmenge lassen sich valide Aussagen zu ihren Eigenschaften treffen, von denen die Entwicklung skalierbarer Fertigungsprozesse abhängig ist.

Automatisiertes Messen bahnt Weg in die Anwendung des Quantencomputers

Das Fraunhofer IAF nimmt europaweit bereits eine gute Position im Bereich der charakterisierenden Messverfahren festkörperbasierter Qubits bei Tieftemperaturen ein. Typisch sind bislang separate Messungen von Qubits auf kleinen Wafern mit bis zu 50 mm Durchmesser bei Tieftemperaturen. Der anzuschaffende automatische On-Wafer-Prober ermöglicht demgegenüber, erstmals stabil, reproduzierbar und zeitgleich bei unter 2 K die Eigenschaften einer deutlich höheren Zahl von Qubits auf Wafern mit Durchmessern von 200 mm beziehungsweise 300 mm zu erfassen. Angestrebt wird, mehr als 200 Bauelemente pro Wafer und in einer Kampagne 10 bis 100 Wafer bei einer Messzeit von unter 10 Stunden pro Wafer charakterisieren zu können.

Forschende sollen mit der Anlage beispielsweise die Performance von Qubits auf Basis von Silizium-Germanium-Quantenpunkten mit solchen aus reinen Silizium-Quantenpunkten vergleichen und so den Einfluss verschiedener Herstellungsprozesse auf die Varianzen von Qubits bestimmen können. »Das Projekt zielt auch darauf ab, ein quantitatives Verständnis der Einflussfaktoren Materialepitaxie und Prozess auf die Streuung der Qubits zu erhalten«, erklärt Professor Quay. Mithilfe dieser Daten können die Vor- und Nachteile verschiedener Qubit-Technologien genauer beurteilt und die Homogenität der Qubits effektiv verbessert werden, was letztlich den Weg vom Labor in die Anwendung des Quantencomputing bahnt.

Beitrag zur technologischen Souveränität Europas

Sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch die Europäische Union (EU) investieren seit 2018 massiv in die Erforschung und Entwicklung der Quantentechnologien. Quantencomputing gilt als eine der potentiell disruptiven Technologien des 21. Jahrhunderts, die Durchbrüche in den Bereichen des »Internets der Dinge« (»Internet of Things«, IoT) und der Künstlichen Intelligenz (KI) ermöglichen soll. In der Folge könnte sie Anwendungsbereiche wie Medizin (digitaler Patient), Kommunikation (»Machine-to-Machine«, M2M; »Collaborative Robots«, Cobots) und Verkehr (autonomes Fahren) revolutionieren.

Mit »KryoproPlus« trägt das Fraunhofer IAF wesentlich zur Grundlagenarbeit für den Aufbau einer europäischen Wertschöpfungskette industriell fertigbarer Quantencomputer bei. Durch weitere Projekte im Bereich des Quantencomputings sowie wissenschaftliche Publikationen sichert das in Freiburg ansässige Forschungsinstitut den hierzu nötigen Wissenstransfer in die Wirtschaft wie auch innerhalb der Wissenschaft.

Das Projekt »KryoproPlus« wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Weitere Informationen

Projektsteckbrief des BMBF zu »KryoproPlus«: https://www.quantentechnologien.de/forschung/foerderung/quantentechnologien-foerderung-von-forschungsarbeiten/kryoproplus.html

Rahmenprogramm der Bundesregierung »Quantentechnologien – von den Grundlagen zum Markt«: https://www.quantentechnologien.de/index.html

Über das Fraunhofer IAF

Das Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik IAF ist eine der weltweit führenden Forschungseinrichtungen auf den Gebieten der III/V-Halbleiter und des synthetischen Diamanten. Auf Basis dieser Materialien entwickelt das Fraunhofer IAF Bauelemente für zukunftsweisende Technologien, wie elektronische Schaltungen für innovative Kommunikations- und Mobilitätslösungen, Lasersysteme für die spektroskopische Echtzeit-Sensorik, neuartige Hardware-Komponenten für Quantencomputer sowie Quantensensoren für industrielle Anwendungen. Mit seinen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten deckt das Freiburger Forschungsinstitut die gesamte Wertschöpfungskette ab – angefangen bei der Materialforschung über Design und Prozessierung bis hin zur Realisierung von Modulen, Systemen und Demonstratoren.
www.iaf.fraunhofer.de

Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik IAF,
Lukas Kübler

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